Badestelle, Grosser Stechlinsee
Der große Stechlinsee in Brandenburg war überraschend stark mit Plastik-Mikrofasern belastet. Bildrechte: imago images/Joko

Wissen-News Mikroplastik: Viele Seen stärker belastet als Ozeane

18. Juli 2023, 14:12 Uhr

Ein internationales Forschungsteam hat Seen auf ihren Mikroplastik-Gehalt untersucht und kommt zu dem Ergebnis: Plastik ist mittlerweile in allen Seen enthalten – und das Ausmaß der Verschmutzung ist höher als erwartet. Das betrifft auch Seen, die als Trinkwasserquelle genutzt werden wie den Lago Maggiore oder den Luganer See.

Ein internationales Team aus Forschenden unter Leitung der italienischen Universität Milano-Bicocca hat 38 Seen und Talsperren auf der ganzen Welt untersucht. Das Ergebnis: Mikroplastik fand sich selbst in entlegenen Regionen – insgesamt wurden die Bestandteile in allen untersuchten Seen gefunden. Überrascht waren die Forschenden allerdings vom Ausmaß der Verschmutzung: Die am stärksten belasteten Seen übertrafen sogar die subtropischen Ozeanwirbel – eine Region, die als eine Art Sammelstelle für Mikroplastik und Müll in unseren Weltmeeren gilt.

Mikroplastik in Seen: Mehr als 10 Partikel pro Kubikmeter

Um zu ermitteln, wie viel Mikroplastik in einem See enthalten war, filterten die Forschenden jeweils rund 140 Kubikmeter Seewasser. Gezählt wurden anschließend nur Mikroplastikpartikel, die größer als 0,25 Millimeter waren. Im Ergebnis waren 45 Prozent der untersuchten Seen mit mehr als einem Partikel pro Kubikmeter verunreinigt. In den am stärksten verschmutzten Seen fanden die Forschenden sogar mehr als 10 Partikel pro Kubikmeter.

Die hohe Mikroplastik-Konzentration in Seen ist zum einen ein Problem für die Umwelt oder für die Freizeitnutzung von Seen – darüber hinaus werden einige der am stärksten verschmutzten Seen aber auch als Trinkwasserquellen genutzt. Beispielsweise der Lago Maggiore in Italien, der Luganer See in der Schweiz oder Lake Tahoe in den USA.

Tannenwälder rund um South Lake Tahoe mit Hügeln im Hintergrund.
Tannenwälder rund um South Lake Tahoe. Auch hier ist die Mikroplastik-Verunreinigung problematisch. Bildrechte: IMAGO/ingimage

Große Seen wegen langer Verweilzeit des Wassers Senke für Mikroplastik

Das Forschungsteam hat in der Studie verschiedene Seentypen untersucht. So konnten sie Unterschiede finden, die durch Größe, Tiefe, Besiedlungsdichte und den Versiegelungsgrad des Umlandes bestimmt werden. Die Forschenden vermuteten nämlich, dass Seen und Talsperren in dicht besiedelten und urbanisierten Gebieten und solche mit großen Grundflächen und langen Verweilzeiten des Wassers besonders anfällig für Mikroplastikverschmutzung wären.

Tatsächlich zeigte sich, dass insbesondere die großen, tiefen Seen regelrechte Senken für Kunststoffe sind, so die Forschenden. Grund sei, dass das Wasser sehr lange im See bleibe. Beim US-See Lake Tahoe zum Beispiel dauere es etwa 650 Jahre, bis das gesamte Wasser durch Zu- und Abfluss einmal ausgetauscht wurde. Solche Seen seien regelrechte "Plastikfallen" und können im Laufe der Zeit erhebliche Mengen an Mikroplastik ansammeln, bilanziert das Forschungsteam.

Der Große Stechlinsee in Brandenburg, wo das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) seinen Sitz hat.
Im Brandenburger Stechlinsee ist trotz des natürlichen Ufers viel Mikroplastik im Wasser. Bildrechte: Solvin Zankl, IGB

Neben dem Trinkwasser sind auch ganze Ökosysteme gefährdet

In Deutschland war es der Stechlinsee, der die Forschenden überraschte. Dabei handelt es sich um einen natürlichen See ganz im Norden von Brandenburg. Er hat eine Fläche von 412 Hektar und ist mit 70 Metern der tiefste See des Landes. Im Stechlinsee hat das Forschungsteam relativ hohe Konzentrationen von Mikroplastik in Form von Mikrofasern gefunden. Das sei überraschend gewesen, da das Ufer des Sees weitgehend natürlich sei und zusätzlich noch von Buchenwäldern umgeben. Die Forschenden glauben deshalb, dass Badegäste die Fasern durch ihr Kleidung ins Wasser gebracht haben.

Vermutlich handelt es sich dabei vor allem um Fasern von der Kleidung der Badenden.

Prof. Hans-Peter Grossart, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)

Die Mikroplastikverschmutzung gefährdet nicht nur das Trinkwasser, bilanziert das Forschungsteam, sondern sie hat auch negative Auswirkungen auf Wasserorganismen und das Funktionieren des Ökosystems. Kunststoffe könnten sich etwa auf die biogeochemischen Kreisläufe auswirken - also auf die Zirkulation chemischer Elemente zwischen organischer und anorganischer Materie. Außerden können Plastikansammlungen an Oberflächen von Gewässern die Freisetzung von Methan und anderen Treibhausgasen fördern.

Seen müssen in den Kampf gegen Mikroplastikverschmutzung einbezogen werden

Wunderschöner Hafen der Insel Isola Bella mit barockem Borromäischen Palast im Lago Maggiore.
Die Isola Bella auf dem Lago Maggiore gilt als Urlaubsparadies. Aber das Ausmaß der Mikorplastik-Verschmutzung in dem See ist problematisch. Immerhin wird er auch als Trinkwasserquelle genutzt. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

"Unsere Ergebnisse zeigen zum ersten Mal ein umfassendes Bild der Plastikverschmutzung in Seen. Sie verdeutlichen, wie wichtig es ist, Seen und Stauseen in den Kampf gegen die Mikroplastikverschmutzung einzubeziehen, sowohl für das Management als auch für den Erhalt der Ökosystemleistungen der Seen", sagt Professor Hans-Peter Grossart, Wissenschaftler am IGB und Mitautor der Studie.

Links/Studien

Die aktuelle Studie Plastic debris in lakes and reservoirs ist im Journal Nature erschienen und kann hier gefunden werden.

iz

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